Mittwoch, 19. August 2020

Tagebuch einer Mutter - Ich habe mein Lächeln verloren


Griesgrämig stehe ich im Supermarkt an der Kasse. Heute bin ich maximal genervt. Um mich herum ein Kraftfeld, welches sich bei der kleinsten Berührung entlädt und dich unangenehm zurückschrecken lässt. Du siehst es nicht, aber du spürst es. Instinktiv machst du einen Schritt zurück. Unbehagen kommt auf, wenn du mich da stehen siehst. Du magst mich nicht. Du kannst dir nicht erklären warum. Aber mit mir willst du lieber nichts zu tun haben. Es ist fast so, als wäre das Kraftfeld um mich herum kein Kraftfeld, sondern vielmehr ein schwarzes Loch für positive Energie. Es raubt sie dir. Zieht all deine positiven Vibes in seinen Schlund und lässt dich leer zurück. Nein, mit mir fängt man heute besser kein Gespräch an.
Schnell die Lebensmittel verstaut und dann nichts wie raus an die frische Luft.
Ich bin froh, wenn ich heute in Ruhe gelassen werde. Ich will nichts mit euch zu tun haben. Ihr nervt mich. Ich mag nicht die Art wie ihr mit der Kassiererin sprecht, wie ihr aus Verlegenheit schlecht rumwitzelt, kurz auflacht und dann schnell wieder euer Zeug in den Einkaufswagen packt, in Gedanken schon beim Hackbraten den ihr auch heute schon wieder nicht schafft zuzubereiten, weil ihr ein schlechtes Zeitmanagement habt.
Ich, absolut, hasse es, wenn ihr mir zu nahe kommt. Heute. Hier. In diesem Supermarkt. Boaaah....schreit es in mir. Ich drehe mich genervt zu dir um. Werfe dir einen bitteren Blick zu. Sauge an deinen positiven Energien, die du mit einem doofen Grinsen in deine Visage schraubst. Ich absorbiere und komprimiere sie an einen Ort, den ich heute nicht in mir finden werde.
Doch was machst du? Du drängst mit deinem beschissenen Einkaufswagen weiter voran. Näher zu mir. Ein kleines Stück näher der Kassiererin, die dir dein hart verdientes Geld für all den Mist, den du dir in trügerischer Vorfreude in deinen Korb gelegt hast, abnimmt. Ein bisschen Glück in deiner kleinen, harten Welt. Und morgen früh verschwindet es in der stinkenden Kanalisation, so wie all der andere Scheiß, von dem du dachtest, du könntest es in deinem Leben erreichen. Es schwimmt mit all der ganzen Scheiße aus Träumen, Wünschen, Hoffen, Liebe, Glück. Ein seelisches Konglomerat was in den düsteren Gewässern dieser Welt verloren geht.
Und jetzt? Jetzt stehst du hier und denkst, wenn du nur ein kleines und noch ein kleines Stück näher an der Kassiererin dran bist, dass es deine momentane Welt etwas besser macht. Das traurige ist, dass es das wahrscheinlich wirklich macht. Und nun weiß ich nicht, ob ich dich dafür verachten oder ob ich Mitleid für dich empfinden soll. Ich entscheide mich für beides. Ich bin eine Frau. Ich kann Multitasking, auch mit Gefühlen. 
Ich schwöre, ich kann dich atmen hören. Dieses ungeduldige Schnaufen, welches in seiner Frequenz zu schnell und zu angestoßen ist. Du denkst du bist ruhig und unauffällig. Hier in diesem Supermarkt an der Kasse, mit all den ungesunden Lebensmitteln auf dem Band. Aber nein, das bist du nicht. Du bist aggressiv und fordernd. In die Stille des Alltags schreiend. Was denkst du dir dabei? Denkst du, du könntest die Welt, deine Welt, die doch von so vielen externen Variablen abhängig ist, durch dein Drängen und Atmen beschleunigen? Kannst du das Quäntchen Geduld nicht aufbringen? Ist es dir eine Last in einer Welt zu warten, die dir diktiert schnell zu sein? 
Ich schnaufe....aus Verachtung. (Mitleid aus) Patrick Swayze hat es damals in Dirty dancing schon richtig beschrieben: "Das ist mein Tanzbereich. Und das ist dein Tanzbereich."
Verpiss dich von meiner Tanzfläche. Es sei denn, du willst möglicherweise mit mir am Abgrund tanzen. 
Tanzen klingt so fröhlich. Ich bin nicht fröhlich. Ich bin stinkig. Aggro. Pissed. Nicht ich selbst.
Oder bin ich etwa jetzt gerade doch eher ich selbst? Der Miesepeter, der alles scheiße findet. Der Misanthrop, der lieber für sich allein ist, als dem fröhlichen Hin und Her von Gesprächen zu lauschen.
Ich atme tief durch. Schließe kurz die Augen. Beruhige die Bestie in mir, die sich am liebsten auf den Tölpel hinter mir stürzen würde. Ich ermahne mich ruhig zu bleiben. Ärger schadet nur dir selbst. Atmen. Ein - aus - ein - auuuuuuuuus. "Alter, willst du etwa, dass ich mich in deinen Wagen setze? Oder warum schiebst du ihn mir immer näher an meinen Arsch heran?"
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Ruhe!
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Atmen....
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Ich vernehme ein"Entschuldigung!" hinter mir. (Mitleid an) Ich drehe mich um, zwinge mich zu einem Lächeln und würge ein "Passt schon." heraus.
Ich blicke nach vorn und weiß gerade nicht wen ich mehr hassen soll. Die Menschen oder mich.
Ich versuche mich an das Lachen zu erinnern. Versuche mich zu erinnern, wann es mir verloren ging und vor allem: Warum? Wann habe ich die Liebe zu den Dingen, das Verständnis für die Menschen verloren? Ich kann mich an eine Zeit erinnern, wo ich mit Leichtigkeit und Liebe durch den Alltag hüpfte. Was war passiert?
Ich gehe ein Stückchen Richtung Kassiererin, lenke meinen Wagen um die Kasse herum und greife wie in Trance nach den Lebensmitteln, die sie vorher in Windeseile am Scanner vorbeizog. Piep - Piep - Piep. 
"47,68,- €."
"Mit Karte, bitte."
"Sie dürfen."
"Bon brauch ich nicht. Danke. Auf Wiedersehen."